6. Etappe: Mit dem Rad nach Amsterdam

Die Nacht auf dem Bossenhof. Träume von rauschendem und glucksendem Wasser. Die Luft ist kühl und angenehm zum Atmen. Wache auf und stelle fest, dass das fließende Wasser Realität ist. Es regnet in Strömen und das Glucksen kommt von der Dachrinne, die die Wassermassen nur schwerlich bewältigen kann. Zum Glück haben wir gestern Abend doch noch ein Frühstück gebucht und genießen mit nur wenigen Gästen zuerst mal ein deftiges Mahl mit allem Drum und Dran. Alle Produkte von hier, einmalig.

Mit bangen Blick verfolgen wir die Wetterlage. Die Gastgeber gönnen uns zwar einen sonnigen Tag, sind aber nicht unfroh darüber, dass es regnet. Der Boden hat es mehr als dringend nötig. Weitere Tage ohne Regen und es wäre erheblicher Schaden entstanden. Anscheinend haben wir den Regen mitgebracht.

Kaum aufgesattelt hört es auch schon schlagartig auf zu regnen. Über Wiesen, Felder und Wälder, symptomatisch sind immer die ebenen schnurgeraden aber asphaltierten Wege, geht es direkt zur Grenze. Eine Grenze genau am Ende eines kleinen Dorfes. Die Außenwand eines Klinkergebäudes tuschiert sie scheinbar. Nur zwei holländisch beschriftete Schilder weisen darauf hin.

Im nächsten Dorf angekommen, realisiert man dann sofort, dass man sich in einem anderen Land befindet. Die Verkehrs und Straßenschilder sind nicht mehr so ohne weiteres gleich lesbar und auch die Architektur der ländlichen Häuser ist eine andere. Quadratisch, die Grundrisse und Fenster. Und tatsächlich: Es gibt kaum Vorhänge und man ertappt sich dabei, wie man hin und wieder einen neugierigen Blick in die Zimmer wirft.

Der Autoverkehr nimmt ab und die Wagen sind meist kleiner als bei uns. SUVs hier haben meist deutsche Kennzeichen. Supermärkte sind ebenso in der Regel kleiner, haben weniger Parkfläche für Autos und sind oft unten in größeren Wohnblocks untergebracht. Dafür befinden sich vor den Eingängen Lawinen von Fahrrädern.

Nähert man sich größeren Ortschaften schlägt die Stunde des Fahrradfahrers. Breite Fahrradwege rot markiert lassen das Fahren nebeneinander zu und führen bequem über Roundabouts und Kreuzungen. Ampelverkehr funktioniert immer über spezielle Fahrradampeln, die nicht synchron mit den Fußgängerlichtern geschaltet sind. Der Unterschied zu deutschen Fahrradwegen im Schnitt ist krass. Die Oberflächen sind meist noch besser als der Fahrbahnbelag. Es gibt keine Wurzelrisse und Löcher und Wellen wie bei uns. Da sind wir Lichtjahre entfernt.

Anfangs gibt es einige Erhebungen zu bewältigen aber Dank der guten Infrastruktur fallen sie wenig ins Gewicht. Dann gibt es wieder stimmungsvolle Alleen (auf den Dorfstraßen hat der Radler in etwa die gleiche Straßenbreite wie der Autofahrer zur Verfügung), die wenigen Autofahrer, meist Lieferverkehr, bewegen sich in der Regel langsam und rücksichtsvoll.

In Nijmwegen kommen wir in eine kleinere Stadt. Jetzt machen wir erstmals richtig Bekanntschaft mit der holländischen Fahrradkultur. Wenn man bei uns auf den Straßen als Radler vor allem auf den motorisierten Verkehr achten muss, so hier auf die Zweiräder, die sich in großer Überzahl befinden. Sie überholen von links, rechts, queren knapp und sind meist blitzschnell. Immer aktiv fahren, nicht zögerlich sein, vorausschauend. Es gibt wenig freien Platz auf den Radwegen. Und trotzdem: wir haben auf unseren knapp 1000 gefahrenen km keinen einzigen Fahrradunfall gesehen.

In einer kleinen originellen Bar eines Hotels machen wir Rast. Sie ist individuell stylisch eingerichtet. Wir sind die einzigen mit bepackten Fahrrädern, rustikal.

Erstmals machen wir Bekanntschaft mit der lockeren und freundlichen Art vieler Holländer. Wir werden wie Kumpel begrüßt, man ist daran interessiert woher wir kommen und wo es heute noch hingeht. Savoir vivre. Englisch ist die Common Language. Vor allem für die Jüngeren ist Englisch zweite Alltagssprache.

Heute ist unsere Strecke auch wieder etwas unter 100 km und das Wetter hält. Es wird zunehmend ländlich, es folgt eine kleine Fährüberquerung, die Landschaft in kräftigen goldgelb geprägten Farben von der nur ganz allmählich untergehenden Sonne. Aha, die Tage werden länger! Letztes Jahr in Australien wurde es nach 6 Uhr abends bereits beinahe kuhnacht!

Wir fahren durch eine kleine lauschige Allee, weg von Ortschaften und Verkehr. Da vorne ein kleines Häuschen mit leicht verwittertem alten Naturzaun. Ein kleines Gärtchen. Nebenan ein grasendes Pony und uns taxierende Ziegen.

Freudig werden wir vom Rest unserer Familie begrüßt, die heute bis hierher zur ersten Ferienwohnung für zwei Nächte mit dem Auto und Fahrradständer gekommen sind. Ach ist es schön und friedlich hier!